Veröffentlicht am März 15, 2024

Zusammenfassend:

  • Der einzigartige Klang des Gewandhausorchesters ist kein Zufall, sondern das Ergebnis von Tradition, Instrumenten und der speziellen Saalarchitektur.
  • Für Einsteiger ist die Wahl des richtigen Programms (kurze Werke, gemischte Abende) entscheidender als Vorkenntnisse.
  • Eine kurze Vorbereitung von nur fünf Minuten kann das Konzerterlebnis von „langweilig“ zu „faszinierend“ verwandeln.
  • Die Ticketstrategie hängt vom Konzert ab: Weltstars erfordern Planung, während für Kammermusik oft Spontaneität belohnt wird.

Vielleicht standen Sie schon einmal auf dem Leipziger Augustusplatz, den Blick auf die imposante Glasfassade des Gewandhauses gerichtet. Ein Ort voller Geschichte und großer Musik, Heimat eines der ältesten und renommiertesten Orchester der Welt. Viele spüren hier eine Mischung aus Ehrfurcht und einer leisen Unsicherheit. Muss man ein Experte sein, um hierherzukommen? Was, wenn ich das „Falsche“ anziehe oder im falschen Moment klatsche? Die Welt der klassischen Musik scheint oft von ungeschriebenen Gesetzen regiert zu werden, die Neugierige abschrecken können.

Die üblichen Ratschläge beschränken sich oft auf Konzert-Knigge und oberflächliche Programmhinweise. Doch was, wenn der Schlüssel zu einem unvergesslichen Abend nicht im Befolgen starrer Regeln liegt, sondern in der Entdeckung Ihrer ganz persönlichen Verbindung zur Musik? Was, wenn es weniger um Vorwissen geht und mehr um die richtige Vorfreude und eine bewusste Wahl des Erlebnisses? Dieser Guide ist Ihre persönliche Einladung. Er übersetzt die komplexe Welt des Gewandhausorchesters in eine freudvolle Entdeckungsreise. Wir betrachten den Konzertbesuch nicht als Prüfung, sondern als ein persönliches Abenteuer – von der Wahl des richtigen Platzes bis zum Verständnis der einzigartigen Klang-Persönlichkeit des Orchesters.

Dieser Artikel führt Sie schrittweise durch alles, was Sie für einen gelungenen Besuch wissen müssen. Wir entschlüsseln, was den Klang des Orchesters so besonders macht, helfen Ihnen bei der Konzertauswahl und geben Ihnen eine clevere Besuchs-Strategie an die Hand, damit Ihr Erlebnis im Gewandhaus von Anfang an begeistert.

Warum klingt das Gewandhausorchester anders als das Berliner Philharmonische Orchester?

Haben Sie sich je gefragt, warum dasselbe Musikstück, gespielt von zwei verschiedenen Spitzenorchestern, so unterschiedlich klingen kann? Es ist wie der Charakter eines Menschen: einzigartig und tief verwurzelt. Das Gewandhausorchester besitzt eine ganz eigene Klang-Persönlichkeit. Kenner beschreiben sie als warm, dunkel und homogen – ein Klang, der die einzelnen Instrumentengruppen zu einem samtigen Gesamtbild verschmilzt, anstatt sie analytisch zu trennen. Diese Identität ist kein Zufall, sondern das Ergebnis einer jahrhundertelangen Tradition.

Diese einzigartige Klangpalette wird sorgfältig gepflegt und entsteht im Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Zum einen ist es die musikalische DNA, die von Generation zu Generation weitergegeben wird. Zum anderen ist es die Vielseitigkeit: Das Orchester gestaltet fast 300 Aufführungen pro Jahr in seinen drei Leipziger Heimstätten. Diese Klangidentität wird als Konzertorchester im Gewandhaus, als Orchester der Oper Leipzig und als Begleitung der Bach-Kantaten mit dem Thomanerchor kultiviert. Jede Rolle schärft andere Facetten des Klangs.

Ein entscheidender Faktor ist jedoch die Erlebnis-Architektur des Konzertsaals. Die Akustik eines Raumes formt den Klang wie ein Bildhauer den Ton. Der Große Saal des Gewandhauses unterscheidet sich fundamental von anderen berühmten Sälen wie der Berliner Philharmonie.

Vergleich der Konzertsäle: Gewandhaus vs. Berliner Philharmonie
Aspekt Gewandhaus Leipzig Berliner Philharmonie
Saalform Modifizierter Schuhkarton-Saal Weinberg-Saal (Terrassensaal)
Kapazität 1.900 Plätze 2.440 Plätze
Eröffnung 1981 1963
Akustik-Charakteristik Geschlossener, mischfähiger Klang Analytische Klarheit, transparenter Klang

Der „Schuhkarton“-Saal in Leipzig fördert einen geschlossenen, sich mischenden Klang, der die warme und dunkle Tönung des Orchesters ideal unterstützt. Im Gegensatz dazu sorgt der „Weinberg“-Aufbau in Berlin für eine analytische Klarheit, bei der jede Instrumentengruppe präzise geortet werden kann. Keiner ist besser als der andere – sie bieten schlichtweg fundamental unterschiedliche Hörerlebnisse.

Wie finden Sie als Klassik-Neuling das richtige Konzert: Sinfoniekonzert oder Kammermusik?

Der Spielplan des Gewandhauses kann auf den ersten Blick überwältigend wirken: „Großes Concert“, Kammermusik, Orgelkonzerte, Chorwerke. Wo soll man anfangen? Die gute Nachricht: Es gibt für jede Neugier und jede Stimmung das passende Format. Der Schlüssel liegt nicht darin, alles zu kennen, sondern darin, das zu finden, was zu Ihnen passt. Für den Einstieg ist es oft ratsam, nicht gleich mit den ganz großen, langen Werken zu beginnen.

Ein Sinfoniekonzert im Großen Saal ist ein beeindruckendes, kraftvolles Erlebnis. Das ganze Orchester ist auf der Bühne, die Musik füllt den Raum mit gewaltiger Energie. Einsteiger sollten hier nach Konzerten mit einem gemischten Programm Ausschau halten: eine kürzere Ouvertüre zu Beginn, gefolgt von einem Solokonzert (z.B. für Klavier oder Violine) und einer nicht allzu langen Sinfonie. Werke von Komponisten wie Mendelssohn oder Schumann sind oft besonders zugänglich und emotional mitreißend. Im Gegensatz dazu steht die Kammermusik. Hier erleben Sie eine kleine Gruppe von Musikern in einem viel intimeren Rahmen, oft im Mendelssohn-Saal mit nur 500 Plätzen. Der Fokus liegt auf dem feinen Dialog der Instrumente – eine fast persönliche Begegnung mit der Musik.

Streichquartett in warmem Bühnenlicht, eine Nahaufnahme der Instrumente und Hände der Musiker.

Dieses intime Setting, wie es die Kammermusik bietet, ermöglicht es, die Interaktion zwischen den Musikern hautnah zu beobachten. Ein weiterer unschätzbarer Tipp für alle Neugierigen sind die kostenlosen Konzerteinführungen, die 45 Minuten vor den „Großen Concerten“ stattfinden. Hier erhalten Sie spannende Einblicke in die Werke des Abends, die Ihnen helfen, die Musik mit anderen Ohren zu hören.

Ihr persönlicher Konzert-Check: Finden Sie Ihr perfektes Erlebnis

  1. Berührungspunkte: Wo begegnet Ihnen klassische Musik bisher? (z.B. im Radio, in Filmen, bei früheren Konzertbesuchen)
  2. Sammlung: Welche Stücke, Komponisten oder Stimmungen kennen und mögen Sie bereits, auch wenn es nur ein einziges ist?
  3. Stimmigkeit: Suchen Sie für Ihren Besuch eher ein intensives, konzentriertes Erlebnis oder einen geselligen, prachtvollen Abend?
  4. Emotion: Welche Gefühle möchten Sie beim Musikhören erleben? Energie, Melancholie, feierliche Freude oder nachdenkliche Ruhe?
  5. Konzertplan: Basierend auf Ihren Antworten, welches Format (große Sinfonie, intime Kammermusik) und welche Epoche (z.B. Romantik) passt am besten als Nächstes?

Gewandhaus oder Thomaskirche für ein Beethoven-Konzert: Welche Atmosphäre passt zu Ihnen?

Stellen Sie sich vor, Sie möchten eine Sinfonie von Beethoven erleben. In Leipzig haben Sie oft die Wahl zwischen zwei ikonischen Orten: dem modernen Gewandhaus und der ehrwürdigen Thomaskirche. Obwohl das Orchester dasselbe ist, schafft die Erlebnis-Architektur des jeweiligen Ortes eine völlig andere Atmosphäre. Die Entscheidung hängt davon ab, welche Art von Erlebnis Sie suchen: ein perfekt inszeniertes Kunstereignis oder eine spirituelle, historische Begegnung.

Das Gewandhaus, 1981 eröffnet, ist ein Tempel der Musik, der für den perfekten Klang und Komfort konzipiert wurde. Der Große Saal mit seinen ansteigenden, halbkreisförmig angeordneten Plätzen bietet von fast überall eine hervorragende Sicht und Akustik. Das gesamte Gebäude, vom lichtdurchfluteten Foyer bis zum monumentalen Deckengemälde „Gesang vom Leben“, ist darauf ausgelegt, den Besucher auf ein monumental-künstlerisches Erlebnis einzustimmen. Hier steht die Musik im absoluten Mittelpunkt, dargeboten in einer akustisch optimierten Umgebung. Der soziale Aspekt, das Sehen und Gesehenwerden in den Pausen, ist Teil des modernen Konzertrituals.

Diese Fokussierung auf die reine Darbietung wird auch vom Gewandhausdirektor Andreas Schulz betont:

Die für Musik optimierte Akustik, der Komfort und das soziale Ritual des Konzertbesuchs im Gewandhaus bieten ein modernes Konzerterlebnis, wo der Fokus zu 100% auf der perfekten Darbietung liegt.

– Andreas Schulz, Gewandhaus-Direktor

Die Thomaskirche hingegen atmet über 800 Jahre Geschichte. Hier war Johann Sebastian Bach fast drei Jahrzehnte lang Thomaskantor. Ein Konzert in diesen gotischen Mauern zu hören, ist eine Reise in die Vergangenheit. Die Akustik ist die eines großen Kirchenraums – halliger, spiritueller und weniger analytisch. Der Fokus liegt nicht nur auf der musikalischen Perfektion, sondern auch auf der historischen Authentizität und der besonderen, fast meditativen Stimmung. Hier sitzen Sie an dem Ort, an dem Bach wöchentlich seine Kantaten aufführte. Ein Beethoven-Konzert hier erhält eine zusätzliche Dimension von Erhabenheit und historischer Tiefe.

Warum langweilen sich 50% der Erstbesucher, weil sie das Programm nicht vorab recherchieren?

Die Vorstellung, sich vor einem Konzert „vorbereiten“ zu müssen, klingt für viele nach Hausaufgaben und schreckt ab. Doch die provokante Aussage, dass sich die Hälfte der Erstbesucher langweilt, zielt auf einen wahren Kern: Unvorbereitet in ein komplexes, einstündiges sinfonisches Werk einzutauchen, kann sich anfühlen, als würde man mitten in einem Film ohne Anfang landen. Man versteht die Handlung nicht und verpasst die entscheidenden Momente. Es geht jedoch nicht um stundenlanges Studieren, sondern um ein kurzes, freudvolles Vorfreude-Ritual.

Fünf Minuten reichen oft schon aus, um das Gehirn auf das Hörerlebnis einzustimmen und Ankerpunkte zu schaffen. Wenn Sie das Hauptthema eines Stückes vorher einmal gehört haben, werden Sie es im Konzert wie einen alten Bekannten wiedererkennen. Dieses Wiedererkennen schafft Freude und eine aktive Verbindung zur Musik. Es verwandelt passives Hören in aktives Entdecken. Das Gewandhausorchester selbst unterstützt dieses Ritual aktiv, zum Beispiel mit seiner wöchentlichen Video-Serie „Sound & Science“ auf YouTube, die musikalische Phänomene kurz und unterhaltsam erklärt.

Dieses kleine Ritual ist der einfachste Weg, um sicherzustellen, dass Sie im Konzert nicht den Faden verlieren. Hier ist ein einfacher Plan, der mehr Spaß als Arbeit macht:

  • Minute 1-2: Lesen Sie die kurze Geschichte hinter dem Werk im Online-Programmheft. Worum geht es? Was hat den Komponisten inspiriert?
  • Minute 3-4: Hören Sie sich das Hauptthema des Stückes kurz auf einer Streaming-Plattform an. Suchen Sie einfach den Titel des Werks.
  • Minute 5: Lernen Sie einen überraschenden Fakt über den Komponisten oder das Werk, z.B. aus der erwähnten Video-Serie.

Sollte Sie während des Konzerts doch einmal die Konzentration verlassen, verzweifeln Sie nicht. Fokussieren Sie sich einfach auf ein einzelnes Instrument und verfolgen Sie dessen Melodie. Beobachten Sie die Körpersprache des Dirigenten oder schließen Sie für einen Moment die Augen und lassen Sie den reinen Klang auf sich wirken.

Wann sollten Sie Gewandhaus-Tickets buchen: 6 Monate vorher oder Last-Minute?

Die Frage nach dem richtigen Buchungszeitpunkt ist zentral für eine gute Besuchs-Strategie. Die Antwort lautet: Es kommt darauf an, was Sie erleben möchten. Die Nachfrage nach Tickets für das Gewandhausorchester variiert stark je nach Dirigent, Solist und Programm. Eine pauschale Regel gibt es nicht, aber eine kluge Planung kann Ihnen die besten Plätze sichern oder überraschende Schnäppchen ermöglichen.

Für die absoluten Highlights der Saison ist frühes Handeln unerlässlich. Konzerte mit Gewandhauskapellmeister Andris Nelsons, weltberühmten Solisten wie Yuja Wang oder Termine an Feiertagen wie Weihnachten und Neujahr sind oft Monate im Voraus ausverkauft. Wenn Sie ein solches Ereignis erleben möchten, sollten Sie Ihre Tickets buchen, sobald der Vorverkauf beginnt – oft schon im Frühling für die gesamte darauffolgende Saison. Für die kommende Spielzeit beginnt der allgemeine Vorverkauf beispielsweise ab dem 21. Juni 2025.

Für reguläre Sinfoniekonzerte mit weniger bekannten Gastdirigenten oder für die meisten Kammermusikabende ist die Lage entspannter. Hier können Sie oft noch wenige Wochen oder sogar Tage vor dem Konzert gute Plätze finden. Spontaneität wird hier manchmal sogar belohnt: Restkarten an der Abendkasse können eine wunderbare, ungeplante Kulturerfahrung sein.

Buchungsstrategie nach Konzerttyp
Buchungszeitpunkt Konzerttyp Verfügbarkeit
6+ Monate vorher Weltstars, Andris Nelsons, Feiertagskonzerte Sehr begrenzt
1-3 Monate vorher Reguläre Sinfoniekonzerte Gut
Last-Minute/Abendkasse Kammermusik, weniger bekannte Werke Oft verfügbar
Ab 21. Juni 2025 Kommende Saison 2025/2026 Vollständig

Neben der strategischen Planung gibt es auch zahlreiche Möglichkeiten, den Geldbeutel zu schonen. Leipzig ist stolz auf seine zugängliche Kultur. Schüler, Studenten und Inhaber des Leipzig-Passes erhalten erhebliche Ermäßigungen. Für junge Leute unter 30 ist die Gewandhausorchester-Card für nur 20 EUR pro Saison eine fantastische Option. Eine besonders interessante und günstige Alternative sind die Podiumsplätze hinter dem Orchester. Sie bieten nicht nur eine einzigartige Perspektive auf das Geschehen und den Dirigenten, sondern sind auch deutlich preiswerter.

Blick über die Schulter eines Konzertbesuchers auf den vollen Großen Saal des Gewandhauses während des Applauses.

Wie erleben Sie den Thomanerchor live: Motette am Freitag oder Gottesdienst am Sonntag?

Den weltberühmten Thomanerchor in seiner Heimat, der Leipziger Thomaskirche, zu erleben, ist ein tief bewegendes Erlebnis. Hier verschmilzt die Musik von Johann Sebastian Bach mit der über 800-jährigen Geschichte des Chores. Als Besucher haben Sie hauptsächlich zwei regelmäßige Gelegenheiten, dieser einzigartigen Verbindung beizuwohnen: bei der Motette am Freitagabend oder im Gottesdienst am Sonntagmorgen. Beide Formate haben ihren eigenen Charakter und bieten unterschiedliche Erlebnisse.

Die Motette am Freitag um 18 Uhr ist im Grunde ein kurzes, konzentriertes Chorkonzert. Im Mittelpunkt stehen die Chorkunst und eine Bach-Kantate, oft begleitet vom Gewandhausorchester. Die Atmosphäre ist konzertant, der Eintritt erfolgt gegen eine Spende (Kollekte). Dieses Format ist ideal für alle, die den Fokus rein auf die Musik und die beeindruckende Leistung der Thomaner legen möchten. Da freie Platzwahl herrscht, ist es ratsam, 30 bis 45 Minuten vor Beginn da zu sein, um einen guten Platz zu ergattern.

Der Gottesdienst am Sonntag um 9:30 Uhr bettet die Musik in einen liturgischen Rahmen ein. Die Bach-Kantate ist hier Teil der protestantischen Messe, umgeben von Gebeten, Lesungen und der Predigt. Das Erlebnis ist spiritueller, besinnlicher und weniger auf die reine Darbietung fokussiert. Der Eintritt ist frei, aber auch hier wird um eine Kollekte gebeten. Aus Respekt vor dem religiösen Charakter des Anlasses sollte auf angemessene Kleidung und zurückhaltendes Verhalten geachtet werden. Dieses Format ist perfekt für diejenigen, die die Musik in ihrem ursprünglich vorgesehenen Kontext erleben möchten.

Für beide Anlässe gilt eine goldene Regel: Genießen Sie den Moment. Das Fotografieren und Filmen ist strikt untersagt, um die besondere Atmosphäre nicht zu stören. Ein praktischer Tipp für ein rundes Erlebnis:

  • Freitags-Motette: Kommen Sie 30-45 Minuten früher für eine freie Platzwahl. Die Atmosphäre ist konzertähnlich.
  • Sonntags-Gottesdienst: Kleiden Sie sich respektvoll. Das Erlebnis ist liturgisch und besinnlich.
  • Bonus-Tipp: Verbinden Sie den Besuch mit einem Abstecher in das Bach-Museum direkt gegenüber der Kirche, um einen tieferen historischen Kontext zu den Werken und dem Leben des Komponisten zu erhalten.

Wie erkunden Sie 50 Galerien in der Spinnerei an einem Tag ohne Reizüberflutung?

Ein Kulturtrip nach Leipzig wäre unvollständig ohne einen Besuch der Baumwollspinnerei, dem pulsierenden Herzen der Neuen Leipziger Schule. Doch das riesige Areal mit über 100 Ateliers und rund 50 Galerien kann schnell zu einer visuellen Reizüberflutung führen. Der Versuch, alles an einem Tag sehen zu wollen, endet oft in Erschöpfung statt Inspiration. Der Schlüssel zu einem gelungenen Besuch liegt in der gezielten Selektion und bewussten Pausen.

Betrachten Sie die Spinnerei nicht als Museum, das man chronologisch durcharbeitet, sondern als eine Stadt der Kunst, in der man sich treiben lässt – aber mit einem losen Plan. Eine gute Strategie ist, sich vorab ein persönliches Limit zu setzen: Wählen Sie maximal fünf bis sieben Galerien aus, die Sie wirklich interessieren. Ein guter Startpunkt ist das Café „Mule“ auf dem Gelände, wo Sie bei einem Kaffee den Lageplan studieren und Ihre Route festlegen können.

Für einen ersten Überblick könnten Sie sich auf eine thematische Route konzentrieren. Eine mögliche Route wäre die „Neue Leipziger Schule“, die Sie zur berühmten Galerie EIGEN + ART führt, wo Sie Werke von Stars wie Neo Rauch finden können. Eine andere Route könnte sich auf Fotografie oder Konzeptkunst konzentrieren. Das Wichtigste ist, die beeindruckende Industriearchitektur und die Außenbereiche bewusst als visuelle Erholungspausen zu nutzen. Schlendern Sie zwischen den Galeriebesuchen über die Höfe und lassen Sie die Atmosphäre auf sich wirken.

Die drei jährlichen Rundgänge bieten das beste Erlebnis, wenn alle Galerien und Ateliers geöffnet sind und eine Festivalatmosphäre herrscht.

– Leipziger Kunstszene, Spinnerei Leipzig

Dieser Tipp ist Gold wert: Die großen Spinnerei-Rundgänge im Winter, Frühling und Herbst sind die idealen Zeitpunkte für einen Besuch. An diesen Wochenenden herrscht eine besondere Energie, Künstler öffnen ihre Ateliers und Sie erhalten einen einmaligen Einblick hinter die Kulissen. Runden Sie Ihren Kunst-Marathon mit einem entspannten Getränk im Biergarten „Zum wilden Heinz“ oder einem Essen im Restaurant „Die gute Quelle“ ab, um die Eindrücke sacken zu lassen.

Das Wichtigste in Kürze

  • Klang ist Persönlichkeit: Der einzigartige Sound des Gewandhausorchesters ist eine bewusste Mischung aus Tradition und der Architektur des Konzertsaals.
  • Vorbereitung ist Vorfreude: Ein 5-Minuten-Ritual vor dem Konzert kann Ihr Hörerlebnis fundamental bereichern und Langeweile vorbeugen.
  • Ihr Erlebnis, Ihre Wahl: Ob große Sinfonik im Gewandhaus oder intime Chormusik in der Thomaskirche – wählen Sie die Atmosphäre, die zu Ihnen passt.

Wie können Besucher die einzigartige Chortradition des Thomanerchors authentisch erleben?

Die Chortradition des Thomanerchors ist untrennbar mit Johann Sebastian Bach und der Stadt Leipzig verbunden. Um diese Tradition wirklich authentisch zu erleben, reicht es nicht, nur ein Konzert zu besuchen. Es geht darum, in die Welt einzutauchen, in der diese Musik entstanden ist und bis heute lebendig gehalten wird. Eine kleine „Bach-Pilgerreise“ in drei Schritten kann diese Verbindung schaffen und den musikalischen Genuss um eine tiefere, historische Dimension erweitern.

Der erste Schritt führt ins Bach-Museum, direkt gegenüber der Thomaskirche. Hier bekommen Sie den unverzichtbaren historischen Kontext. Interaktive Ausstellungen erklären die Entstehung der Kantaten, Bachs Leben in Leipzig und die Rolle des Thomanerchors in seiner Zeit. Mit diesem Wissen im Gepäck wird der anschließende Musikgenuss ungleich reicher. Der zweite Schritt ist der Besuch der Motette in der Thomaskirche. Hier erleben Sie die Thomaner und oft auch das Gewandhausorchester an Bachs historischer Wirkungsstätte. Die Musik erklingt an dem Ort, für den sie komponiert wurde – eine kraftvolle Erfahrung.

Der dritte und letzte Schritt ist ein Moment der Stille und Reflexion an Bachs Grab, das sich ebenfalls im Altarraum der Thomaskirche befindet. Unabhängig von der eigenen Spiritualität ist dies ein Ort, um die Größe des musikalischen Erbes zu würdigen und die persönliche Begegnung mit der Musik abzurunden. Diese Verbindung von Orchester und Chor ist keine Seltenheit; seit über 200 Jahren dient das Gewandhausorchester als reguläres Orchester für die wöchentlichen Bach-Kantaten. Es ist ein lebendiges Zeugnis der tiefen musikalischen Verwurzelung in der Stadt, die mit ihren nahezu 700 Veranstaltungen und einer halben Million Besucher pro Jahr das kulturelle Herz Leipzigs ist.

Ein Besuch des modernen „Forum Thomanerchor“, dem Bildungscampus des Chores, kann zusätzlich zeigen, wie diese 800 Jahre alte Tradition heute weiterlebt und an die nächste Generation weitergegeben wird. Es zeigt, dass es sich nicht um ein Museumsstück, sondern um eine lebendige Kultur handelt.

Nun sind Sie an der Reihe. Mit diesem Wissen ausgestattet, sind die Türen des Gewandhauses weit für Sie geöffnet. Entdecken Sie den Spielplan, vertrauen Sie Ihrer Neugier und wagen Sie den ersten Schritt in Ihr ganz persönliches Konzerterlebnis.

Geschrieben von Katharina Weber, Katharina Weber ist promovierte Musikwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Barockmusik und seit 12 Jahren Konzertdramaturgin am Gewandhaus zu Leipzig. Sie konzipiert Konzertreihen, moderiert Einführungsveranstaltungen und vermittelt klassische Musik einem breiten Publikum.