
Ein belebter Platz ist kein Zufallsprodukt, sondern das Ergebnis einer durchdachten Choreografie von Raum, Mensch und Natur.
- Erfolgreiche Plätze priorisieren menschliche Maßstäbe und Wahrnehmung über monumentale Größe.
- Temporäre Tests und eine aktive Bürgerbeteiligung sind entscheidend, um teure Fehlplanungen zu vermeiden und echte Bedürfnisse zu erkennen.
Empfehlung: Nutzen Sie die hier vorgestellten Kriterien, um die Plätze in Ihrer Nachbarschaft bewusst wahrzunehmen und deren Potenzial für die Gemeinschaft zu erkennen.
Spazieren Sie durch Leipzig, fällt Ihnen vielleicht auf, dass einige öffentliche Plätze vor Leben sprühen, während andere, oft größere und repräsentativere, seltsam leer und seelenlos wirken. Man denkt oft, die Lösung sei einfach: mehr Bänke, mehr Grün, vielleicht ein Wasserspiel. Doch diese Elemente sind nur die Requisiten auf einer Bühne. Wenn die Bühne selbst schlecht gestaltet ist, bleibt sie leer, ganz gleich, wie schön die Requisiten sind. Die wahre Qualität eines Platzes liegt nicht in dem, was man sieht, sondern in dem, was man fühlt – in seiner Fähigkeit, uns zum Verweilen einzuladen.
Als Landschaftsarchitektin, die sich auf urbane Freiräume spezialisiert hat, sehe ich Plätze nicht als Flächen, die gefüllt werden müssen, sondern als komponierte Erlebnisse. Der Schlüssel zur Lebensqualität liegt in der unsichtbaren Choreografie des Raumes: den Bewegungsflüssen, den Blickachsen, der sozialen Geometrie der Sitzgelegenheiten. Diese Elemente entscheiden darüber, ob ein Ort als sozialer Treffpunkt funktioniert oder nur eine Abkürzung auf dem Weg von A nach B bleibt. Es geht darum, eine Raumwahrnehmung zu entwickeln – die Fähigkeit, einen Platz zu „lesen“ und seine verborgenen Qualitäten oder Mängel zu erkennen.
Doch was, wenn die wahre Ursache für ungenutzte Plätze nicht ein Mangel an Elementen, sondern ein Missverständnis ihrer Anordnung ist? Was, wenn die Antwort nicht in teuren Umbauten, sondern im Verständnis der menschlichen Psychologie im Raum liegt? Dieser Artikel nimmt Sie mit auf eine Reise durch verschiedene Leipziger Orte und Planungsszenarien. Er stattet Sie mit dem Wissen aus, die Qualität öffentlicher Räume selbst zu beurteilen und zeigt Ihnen, wie Sie aktiv an deren Gestaltung für eine lebenswertere Stadt mitwirken können.
In den folgenden Abschnitten werden wir konkrete Leipziger Beispiele analysieren, Planungsdilemmas beleuchten und Ihnen Werkzeuge an die Hand geben, um die Plätze Ihrer Stadt mit neuen Augen zu sehen. Dieser Leitfaden hilft Ihnen, die Sprache der Stadtplaner zu verstehen und Ihre eigenen Beobachtungen in konstruktive Ideen für eine bessere Gestaltung umzuwandeln.
Inhalt: Plätze in Leipzig verstehen und mitgestalten
- Warum ist der Wilhelm-Leuschner-Platz belebter als der Augustusplatz trotz geringerer Größe?
- Wie bringen Sie Ihre Ideen in die Umgestaltung des Connewitzer Kreuzes ein?
- Grüner Ruheplatz oder flexible Eventfläche: Was braucht ein Gründerzeitviertel mehr?
- Warum werden 70% der neu gestalteten Plätze nur durchquert, aber nicht genutzt?
- Wann sollte ein Pop-up-Test auf einem Platz stattfinden, um repräsentative Nutzungsdaten zu erhalten?
- Warum funktionieren Leipzigs Messehäuser heute als lebendige Passagen statt als Museen?
- Begegnungszone oder Tempo 30:Wie können Klassikfans und Neulinge das Festival optimal erleben und vorbereiten?
- Wie funktionieren Begegnungszonen verkehrstechnisch und sozial, und welche Vorteile bringen sie Anwohnern?
Warum ist der Wilhelm-Leuschner-Platz belebter als der Augustusplatz trotz geringerer Größe?
Auf den ersten Blick ist der Augustusplatz mit seiner Weite und den repräsentativen Bauten wie Oper und Gewandhaus das unangefochtene Zentrum Leipzigs. Doch oft wirkt er windig, unübersichtlich und wird von Passanten schnell überquert. Im Gegensatz dazu entwickelt der Wilhelm-Leuschner-Platz, historisch eine Brachfläche, zunehmend eine eigene Anziehungskraft. Der Grund liegt in der menschlichen Raumwahrnehmung. Große, offene Flächen können einschüchternd wirken und bieten wenig Schutz oder Geborgenheit. Es fehlen Nischen und klar definierte Aufenthaltsbereiche, die zum Verweilen einladen. Man fühlt sich ausgestellt.
Die geplante Umgestaltung des Wilhelm-Leuschner-Platzes zu einer „Klimakomfortinsel“ setzt genau hier an. Anstatt auf monumentale Leere setzt das Konzept auf eine kleinteilige Gliederung mit Baumhainen, Sitzinseln und Wasserflächen. Dies schafft eine Vielfalt an Raumerlebnissen auf kleinerer Fläche. Es entstehen Zonen für unterschiedliche Bedürfnisse: sonnige Plätze zum Lesen, schattige Bereiche für heiße Tage, Orte für kleine Gruppen. Diese Diversität im Angebot ist entscheidend für die Aufenthaltsqualität. Es bestätigt sich, was die Stadtentwicklung zunehmend erkennt: Menschen suchen nicht die große Geste, sondern den angenehmen, überschaubaren Ort. Das deckt sich auch mit den Wünschen der Bürger, wie eine Bürgerbefragung zeigt, bei der sich 52 Prozent der Teilnehmenden bepflanzte, kleinteilige Orte wünschten.
Die gefühlte Lebendigkeit eines Platzes hängt also weniger von seiner absoluten Größe ab, sondern von der Dichte und Qualität der angebotenen Nutzungsmöglichkeiten. Der Wilhelm-Leuschner-Platz verspricht, eine Bühne mit vielen kleinen, intimen Szenen zu werden, während der Augustusplatz oft eine riesige, leere Bühne bleibt. Dies ist die erste Lektion in der Lesbarkeit des Raumes: Der menschliche Maßstab siegt über die Monumentalität.
Wie bringen Sie Ihre Ideen in die Umgestaltung des Connewitzer Kreuzes ein?
Das Connewitzer Kreuz ist ein Paradebeispiel für einen komplexen städtischen Raum: ein Verkehrsknotenpunkt, ein sozialer Treffpunkt und das Herz eines lebendigen Viertels. Die anstehende Umgestaltung ist eine Chance, die Lebensqualität hier entscheidend zu verbessern, doch wie können Sie als Anwohner sicherstellen, dass Ihre Bedürfnisse und Ideen gehört werden? Der Schlüssel liegt in der proaktiven und konstruktiven Beteiligung. Stadtplaner sind auf das lokale Wissen der Menschen angewiesen, die den Raum täglich nutzen. Sie wissen, wo die Sonne am Nachmittag scheint, wo der Wind pfeift und wo sich Kinder unsicher fühlen.
Die Stadt Leipzig nutzt verschiedene Formate, um Bürger in Planungsprozesse einzubinden. Es reicht oft nicht, auf eine offizielle Ankündigung im Amtsblatt zu warten. Werden Sie selbst aktiv. Sprechen Sie mit Nachbarn, organisieren Sie sich in Initiativen oder nutzen Sie die direkten Kanäle. Die effektivsten Beiträge sind oft nicht allgemeine Wünsche („mehr Grün“), sondern konkrete Beobachtungen und Vorschläge. Zum Beispiel: „An dieser Ecke fehlt eine Sitzbank, weil hier viele ältere Menschen auf dem Weg zum Supermarkt eine Pause brauchen.“ Oder: „Die Beleuchtung unter der Brücke ist unzureichend, was das Sicherheitsgefühl am Abend beeinträchtigt.“

Solche detaillierten Einblicke sind für Planer Gold wert, da sie über reine Daten hinausgehen und die gelebte Realität des Ortes abbilden. Moderne Beteiligungsformate wie aufsuchende Gespräche an belebten Orten oder digitale Umfragen machen es einfacher, sich einzubringen. Ihre Stimme hat Gewicht, wenn sie gut begründet und lösungsorientiert ist. Sie sind der Experte für Ihren Lebensraum – nutzen Sie diese Expertise.
Plan d’action : Wege zur aktiven Bürgerbeteiligung
- Im 1:1 Gespräch mit Planern konkrete Beispiele aus Ihrer Lebenswelt schildern und zeigen.
- Aufsuchende Formate nutzen: Suchen Sie den Dialog an Infoständen in Einkaufszentren oder auf Plätzen.
- An Straßengesprächen und Stadtteilrundgängen teilnehmen, um Probleme direkt vor Ort zu diskutieren.
- Informationsbroschüren und Online-Plattformen nutzen, um sich über den aktuellen Stand zu informieren und Feedback zu geben.
- Sich mit Nachbarn oder lokalen Initiativen vernetzen, um Ideen zu bündeln und ihnen mehr Gewicht zu verleihen.
Grüner Ruheplatz oder flexible Eventfläche: Was braucht ein Gründerzeitviertel mehr?
Die dicht bebauten Gründerzeitviertel Leipzigs mit ihren malerischen, aber oft versiegelten Innenhöfen stellen Planer vor ein klassisches Dilemma: Soll ein neu zu gestaltender Platz primär als grüne Oase der Ruhe und Erholung dienen oder als flexible, befestigte Fläche für Wochenmärkte, Feste und Kultur? Diese Entscheidung berührt den Kern dessen, was ein öffentlicher Raum leisten soll. Beide Konzepte haben ihre Berechtigung und ihre Anhänger. Der grüne Ruheplatz dient der Klimaanpassung durch Verschattung und Versickerung und bietet einen konsumfreien Rückzugsort. Die Eventfläche hingegen stärkt die lokale Ökonomie und fördert das Gemeinschaftsgefühl durch gemeinsame Erlebnisse.
Wie die Stadt Leipzig in ihrem Stadtplatzprogramm festhält, ist die Multifunktionalität der Schlüssel. So betonen Experten:
Plätze gewährleisten soziale Interaktionen, sind Orte kultureller Veranstaltungen, ermöglichen vielfältige Formen der Erholung, fördern wirtschaftliche Aktivitäten und dienen als Aufenthaltsräume.
– Stadt Leipzig, Stadtplatzprogramm 2030+
Die beste Lösung ist oft keine Entweder-oder-Entscheidung, sondern eine intelligente Kombination. Moderne Platzgestaltung arbeitet mit hybriden Konzepten: befestigte Kernbereiche für Veranstaltungen, die von grünen, baumbestandenen Randzonen mit Sitzgelegenheiten umgeben sind. Mobile Elemente wie Pflanzkübel oder temporäre Bühnen können die Flexibilität zusätzlich erhöhen. Die folgende Tabelle verdeutlicht die unterschiedlichen Stärken beider Ansätze.
Diese Gegenüberstellung hilft dabei, die Diskussion zu versachlichen. Eine vergleichende Analyse der Funktionen zeigt, dass die ideale Lösung die Bedürfnisse des spezifischen Quartiers genau analysiert und eine maßgeschneiderte Balance findet.
| Aspekt | Grüner Ruheplatz | Flexible Eventfläche |
|---|---|---|
| Hauptnutzen | Erholung und Klimaanpassung | Kulturelle Veranstaltungen |
| Wirtschaftlicher Effekt | Steigerung der Immobilienwerte | Förderung lokaler Gastronomie |
| Klimawirkung | Verschattung, Versickerung, Kühlung | Begrenzte Klimaanpassung |
| Soziale Funktion | Konsumfreier dritter Ort | Gemeinschaftsveranstaltungen |
Warum werden 70% der neu gestalteten Plätze nur durchquert, aber nicht genutzt?
Es ist ein frustrierendes Phänomen in vielen Städten: Ein Platz wird für viel Geld saniert, mit Designermöbeln und edlem Pflaster ausgestattet – und bleibt doch leer. Die Menschen eilen darüber hinweg, ohne innezuhalten. Der Grund ist oft, dass Ästhetik über Funktionalität gestellt wurde. Ein Platz, der keine Gründe zum Bleiben liefert, wird zum reinen Transitraum. Die entscheidende Frage ist: Was macht einen Ort „klebend“? Was verleitet uns, unser Tempo zu verlangsamen und uns niederzulassen? Die Antwort liegt in einer Mischung aus Komfort, Aktivitätsangeboten und einer subtilen sozialen Sicherheit.
Ein Hauptgrund für das Scheitern ist die mangelnde Auseinandersetzung mit der sozialen Geometrie. Bänke, die in einer Reihe mit Blick auf eine leere Fläche aufgestellt sind, schaffen eine unbehagliche Situation. Besser sind gruppierte Sitzgelegenheiten, die Kommunikation in kleinen Gruppen ermöglichen oder halbprivate Nischen bilden. Ebenso entscheidend ist der Faktor „Rand“. Menschen fühlen sich wohler, wenn sie „im Rücken geschützt“ sitzen und den Platz überblicken können, statt mitten auf einer offenen Fläche zu thronen. Cafés, Mauern oder Hecken schaffen solche schützenden Ränder.
Ein weiterer Aspekt ist die Bodenbeschaffenheit. Große, monotone und stark versiegelte Flächen wirken abweisend und heizen sich im Sommer extrem auf. Der Wilhelm-Leuschner-Platz ist ein historisches Beispiel dafür, dessen Fläche vor der Umgestaltung zu fast 70 Prozent aus versiegelter Brachfläche bestand. Solche Orte laden nicht zum Verweilen ein. Die erfolgreiche Gestaltung eines Platzes ist also kein Geheimnis, sondern das Ergebnis einer sorgfältigen Analyse der menschlichen Bedürfnisse. Die folgende Checkliste fasst die wichtigsten Qualitätsfaktoren zusammen, an denen Sie jeden Platz messen können.
Checkliste für Aufenthaltsqualität: Ein Platz-Audit in 5 Schritten
- Erreichbarkeit & Wege: Ist der Platz für alle (Kinderwagen, Rollstuhl) leicht zugänglich? Gibt es klare, intuitive Wegeführungen, die aber auch zum Schlendern einladen?
- Aktivitäten & Angebote: Gibt es Gründe, hierher zu kommen? (Spielplatz, Café, Markt, Wasserspiel). Gibt es kostenlose Angebote? Werden verschiedene Altersgruppen angesprochen?
- Komfort & Behaglichkeit: Gibt es eine Auswahl an Sitzmöglichkeiten (Sonne/Schatten, mit/ohne Lehne)? Ist der Platz vor Wind und Lärm geschützt? Ist er sauber und gepflegt?
- Sicherheit & soziales Klima: Ist der Platz auch abends gut und angenehm beleuchtet? Gibt es eine gute soziale Durchmischung oder wird der Ort von einer Gruppe dominiert? Fühlt man sich hier alleine sicher?
- Ästhetik & Identität: Hat der Platz einen eigenen Charakter? Erzählt er eine Geschichte? Sind die Materialien und Pflanzen ansprechend und nachhaltig?
Wann sollte ein Pop-up-Test auf einem Platz stattfinden, um repräsentative Nutzungsdaten zu erhalten?
Bevor Millionen in den endgültigen Umbau eines Platzes investiert werden, gibt es eine clevere und kostengünstige Methode, um Ideen zu testen: die temporäre Intervention oder der Pop-up-Test. Dabei werden mit einfachen Mitteln wie mobilen Sitzmöbeln, Pflanzkübeln, Kreidezeichnungen oder kleinen Bühnen für einige Wochen oder Monate neue Nutzungsszenarien simuliert. So lässt sich live beobachten, ob eine neue Sitzgruppe angenommen, eine autofreie Zone belebt oder ein Spielangebot genutzt wird. Dieser Ansatz verwandelt die Bürger von reinen Kommentatoren zu aktiven Testern.
Der entscheidende Faktor für den Erfolg eines solchen Tests ist das richtige Timing. Um repräsentative Daten zu erhalten, muss der Testzeitraum verschiedene Witterungsbedingungen und Nutzungszeiten abdecken. Ein Test, der nur an zwei sonnigen Wochenenden im Sommer stattfindet, liefert ein verzerrtes Bild. Ideal ist ein Zeitraum von mindestens vier bis sechs Wochen, der sowohl Werktage als auch Wochenenden, Vormittage und Abende sowie idealerweise den Übergang zwischen zwei Jahreszeiten umfasst. So kann man analysieren: Wo halten sich Menschen an einem kühlen Herbsttag auf? Welche Wege werden bei Regen bevorzugt? Wo suchen Familien am Sonntagnachmittag Schatten?

Leipzig nutzt solche Beteiligungsformate bereits im Rahmen des Stadtplatzprogramms, wie die Planungen für den Südplatz oder den Platz am Stadtteilpark Rabet zeigen. Hier wurden Bürger frühzeitig eingebunden, um Entwürfe zu entwickeln, die auf echten Bedürfnissen basieren, wie etwa zusätzliche schattenspendende Bäume oder entsiegelte Grünflächen. Solche Pop-up-Tests sind das perfekte Instrument, um die Lesbarkeit des Raumes in der Praxis zu erproben und Annahmen zu validieren, bevor der erste Bagger rollt. Sie machen Planung greifbar und reduzieren das Risiko von teuren Fehlentscheidungen erheblich.
Warum funktionieren Leipzigs Messehäuser heute als lebendige Passagen statt als Museen?
Die prächtigen Messehäuser in Leipzigs Innenstadt sind ein faszinierendes Beispiel für eine gelungene Transformation. Ursprünglich als monofunktionale Ausstellungspaläste für die Mustermesse konzipiert, hätten sie nach dem Niedergang dieses Formats zu leblosen Hüllen oder Museen ihrer selbst werden können. Stattdessen sind sie heute pulsierende Adern der Stadt – durchlässige Passagen, die Einzelhandel, Gastronomie, Büros und Kultur miteinander verweben. Ihr Erfolg beruht auf einem zentralen Prinzip der modernen Stadtplanung: der Nutzungsmischung und Permeabilität.
Anstatt die Gebäude als geschlossene Blöcke zu behandeln, wurden sie im Erdgeschoss geöffnet und zu einem Netz von Wegen verbunden. Man flaniert nicht mehr nur an ihnen vorbei, sondern durch sie hindurch. Diese Durchwegung schafft eine enorme soziale Dichte und Laufkundschaft, von der die Geschäfte und Cafés im Inneren profitieren. Die Choreografie des Raumes wurde hier komplett neu geschrieben: von einer statischen, zielgerichteten Bewegung (Messebesuch) zu einer fließenden, explorativen Bewegung (Bummeln, Entdecken). Dies ist ein Paradebeispiel dafür, wie der öffentliche Raum als Steuerungsinstrument genutzt werden kann, wie es in der Stadtplanungstheorie beschrieben wird. In einer Analyse heißt es treffend, dass durch eine nutzungsgerechte Aufteilung und Gestaltung öffentlicher Räume Stadtviertel in ihrer Lebens- und Aufenthaltsqualität aufgewertet werden sollen.
Die Messehofpassage, Specks Hof oder Mädler-Passage sind keine reinen Einkaufszentren, sondern hybride Räume. Sie verbinden die geschützte Atmosphäre eines Innenraums mit der Lebendigkeit einer öffentlichen Straße. Die gläsernen Überdachungen schaffen witterungsunabhängige Aufenthaltsqualität und verlängern die „Draußen-Saison“. Sie zeigen eindrucksvoll, dass die Wiederbelebung historischer Bausubstanz nicht durch museale Konservierung, sondern durch eine intelligente Neuinterpretation ihrer Funktion und eine Öffnung zum städtischen Leben hin gelingt.
Begegnungszone oder Tempo 30:Wie können Klassikfans und Neulinge das Festival optimal erleben und vorbereiten?
Stellen Sie sich ein großes Klassikfestival wie das Bachfest in Leipzig vor. Tausende von Menschen strömen zu den Veranstaltungsorten, darunter erfahrene Klassikfans und neugierige Touristen. Die Atmosphäre soll festlich und entspannt sein, doch oft wird sie durch Verkehrslärm und die Barrierewirkung von Straßen gestört. Hier stehen Planer vor der Wahl zwischen verschiedenen Verkehrsberuhigungskonzepten. Eine reine Tempo-30-Zone reduziert zwar die Geschwindigkeit, erhält aber die strikte Trennung von Fahrbahn und Gehweg bei. Der Autoverkehr bleibt dominant.
Eine Begegnungszone verfolgt einen radikaleren und oft wirksameren Ansatz. Hier wird die gesamte Straßenfläche zu einem Shared Space, in dem alle Verkehrsteilnehmer – Fußgänger, Radfahrer und Autofahrer – gleichberechtigt sind. Fußgänger dürfen die gesamte Fläche nutzen, haben aber keinen absoluten Vorrang. Dies zwingt alle Beteiligten zu gegenseitiger Rücksichtnahme und drastisch reduzierter Geschwindigkeit. Für ein Festivalerlebnis ist dies ein enormer Gewinn: Der Raum zwischen den Spielstätten wird selbst zur Bühne, zu einer Flaniermeile, auf der man sich frei bewegen, spontan stehen bleiben und die Atmosphäre genießen kann. Die Barrierewirkung der Straße löst sich auf.
Erfolgreiche Beispiele wie die Maaßenstraße in Berlin zeigen, dass dieses Konzept funktioniert. Dort führte die Umgestaltung zu einer signifikanten Steigerung der Aufenthaltsqualität und Sicherheit, wie verkehrliche Untersuchungen nach der Umgestaltung belegen. Für ein Festival bedeutet dies: Klassikneulinge können unbeschwert von Ort zu Ort schlendern, ohne sich um den Verkehr sorgen zu müssen, während erfahrene Besucher den gewonnenen Raum für Gespräche und Pausen nutzen. Der Verzicht auf Parkplätze in der Zone schafft zudem Platz für temporäre Gastronomie oder Informationsstände. Die Begegnungszone transformiert eine Verkehrsschneise in einen qualitativ hochwertigen öffentlichen Raum, der das Festivalerlebnis erst komplett macht.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Qualität eines Platzes bemisst sich nicht an seiner Größe, sondern an seiner Fähigkeit, den menschlichen Maßstab zu respektieren und vielfältige Nutzungsmöglichkeiten zu bieten.
- Aktive und gut informierte Bürgerbeteiligung ist kein Störfaktor, sondern eine unverzichtbare Ressource für eine bedarfsgerechte und nachhaltige Stadtplanung.
- Moderne Platzgestaltung ist hybrid: Sie balanciert die Bedürfnisse nach grüner Erholung und Klimaanpassung mit denen nach flexiblen Flächen für Kultur und Gemeinschaft.
Wie funktionieren Begegnungszonen verkehrstechnisch und sozial, und welche Vorteile bringen sie Anwohnern?
Die Begegnungszone ist mehr als nur eine verkehrsberuhigte Straße; sie ist ein Paradigmenwechsel in der Raumaufteilung. Technisch gesehen wird dies durch das Aufheben der klassischen Trennung zwischen Gehweg, Radweg und Fahrbahn erreicht. Die gesamte Fläche wird niveaugleich gestaltet, oft mit einem einheitlichen Pflaster. Klare Markierungen und Bordsteine fehlen bewusst. Dies erzeugt eine gewollte Unsicherheit, die alle Verkehrsteilnehmer zu erhöhter Aufmerksamkeit und geringerer Geschwindigkeit zwingt. Die übliche Höchstgeschwindigkeit liegt bei 20 km/h, und Fußgänger haben das Recht, die gesamte Fläche zu queren, müssen aber den Fahrzeugverkehr nicht unnötig behindern.
Sozial gesehen ist das Ziel, die Dominanz des Autos zu brechen und den Raum an die Menschen zurückzugeben. Die Straße wird vom reinen Transitkanal zum erweiterten Lebensraum. Kinder können sich freier bewegen, Nachbarn können auf der Straße ein Gespräch führen, und Cafés können ihre Tische nach draußen stellen. Die Lärmbelastung und die Abgasemissionen sinken drastisch, was die Wohn- und Lebensqualität für die Anwohner direkt steigert. Es entsteht ein Gefühl von gemeinschaftlicher Verantwortung für den Raum.
Die Vorteile für Anwohner sind vielfältig. An erster Stelle steht die erhöhte Verkehrssicherheit, insbesondere für Kinder und ältere Menschen. Entgegen erster Befürchtungen zeigen Studien, dass in gut gestalteten Begegnungszonen die Unfallzahlen tendenziell sinken, da die geringe Geschwindigkeit und hohe Aufmerksamkeit schwere Unfälle verhindern. Darüber hinaus steigt oft der Wert der anliegenden Immobilien, da die Attraktivität des Wohnumfelds zunimmt. Lokale Geschäfte und Gastronomie profitieren von der erhöhten Verweildauer der Passanten. Eine Begegnungszone ist somit eine Investition, die sich sowohl sozial und ökologisch als auch ökonomisch auszahlt, indem sie eine Straße in einen lebendigen und sicheren Ort der Begegnung verwandelt.
Gehen Sie mit diesem neuen Blick für Raumchoreografie durch Leipzig und entdecken Sie das Potenzial der Plätze vor Ihrer Haustür. Werden Sie Teil der Veränderung, indem Sie sich bei den nächsten Planungsprozessen aktiv einbringen und Ihre Beobachtungen teilen. Denn eine lebenswerte Stadt wird von den Menschen gemacht, die in ihr leben.